Fotografie "Lost In White Nights 11" von Frank Rothe

Technisch gesehen sind die sogenannten "Weißen Nächte" (Beliye Nochi) nicht einzigartig in St. Petersburg, aber nur hier haben die nördlichen Nächte eine solche poetische Würdigung erhalten. Was könnte romantischer sein als ein Spaziergang entlang von Flüssen und Kanälen, wenn die Nacht so hell ist wie der frühe Abend? Es ist die einzige Stadt der Welt, in der sich ein solches Phänomen jeden Sommer von Mitte Juni bis Anfang Juli abspielt. Jedes Jahr gibt es Tage, an denen die Innenstadt von St. Petersburg voll von Menschen ist, sogar nachts. Es ist eine großartige Zeit für Verliebte und für diejenigen, die auf der Suche nach Liebe sind oder einfach nur die endlosen Nächte genießen wollen. In dieser Zeit schlafen die Menschen nicht so viel, wie sie sollten. 

Denn der Tag geht nie zu Ende. Die Menschen werden ein bisschen verrückt. Deshalb habe ich mich entschieden, mein Projekt "Lost In White Nights" zu nennen. Ich wurde auch von der Weichheit des Lichts während dieser Zeit angezogen. Ich drehte auf 6 x 6 Negativ-Farbfilm ohne zusätzliches Licht. Nach meiner Rückkehr nach Berlin habe ich die Bilder gescannt. Die digitalen Dateien wurden am Computer entsättigt und in Schwarz-Weiß-Bilder umgewandelt. Nun musste die andere Hälfte des Projekts erledigt werden.

Anfang des Jahres 2008 starb meine geliebte Großmutter. Ein Jahr zuvor schenkte sie mir eine alte Fotografie. Sie zeigt meine Großmutter als 4 oder 5 Jahre altes Mädchen, aufgenommen um 1920. Es ist eine handkolorierte Fotografie. Zu dieser Zeit war es eine gängige Methode, ein Schwarz-Weiß-Foto in ein farbiges zu verwandeln. 
Von einer Reise nach Indien erinnerte ich mich an handkolorierte Bilder, die ich in den Häusern der Leute gesehen habe. Es ist eine fast vergessene Kunst - vor einem Jahrhundert verwendet.

Durch einen Freund eines Freundes kam ich in Kontakt mit Herrn Rajesh Roy. Anfang Dezember 2008, im selben Jahr, in dem ich die Bilder in St. Petersburg aufnahm, wurde der erste Druck von Kalkutta nach Berlin geschickt. Es war kurz nach dem Mumbay-Terroranschlag und der Druck wurde zerstört. Weil der Zolldienst mein Paket etwas zu grob kontrollierte. Außerdem herrschte Krise in der Welt. Zum Glück blieb mein Kontakt in Indien bei seiner Firma. 

Tatsächlich habe ich den Künstler, der mein Werk koloriert hat, nie kennengelernt, denn Mr. Roy hat die Geschäfte in meinem Namen geführt. Er betreibt eigentlich eine Internetfirma und war nur eine Art Mittelsmann zwischen mir und dem Künstler. Alle zwei oder drei Monate wurden einige handkolorierte Bilder an mein Studio in Berlin geschickt. Zum Glück wurde nichts mehr vom Kunden angefasst. 

Aber es sah so aus, als würde das Projekt nie enden, denn die Qualität der Bilder ging rauf und runter. Aber es gab auch andere Emails, in denen ich Herrn Roy ein gutes neues Jahr wünschte oder Mitleid mit ihm hatte, wenn er oder ein Familienmitglied krank wurde. Das letzte Paket sollte Ende des Sommers 2010 kommen. Als ich es öffnete und die Arbeiten prüfte, wusste ich, dass ich es zurückschicken musste. Einige der Bilder waren großartig, andere nicht. Ein Druck hatte nicht die richtige Größe und war kleiner als die anderen. Aber dann, Ende Oktober 2010, war alles in Ordnung. Die einzigartigen Momente, die ich 2008 in St. Petersburg eingefangen habe, wurden zu einzigartigen Kunstwerken komplementiert. Der schönste Moment im Leben eines Künstlers ist der, wenn die Idee zur Realität wird. Sie sehen und berühren, was vorher nur in Ihrem Kopf war. 

Der Traum, Bilder einer Stadt und ihrer Menschen während einer verrückten Zeit mit einem verrückten Licht einzufangen und sie mit der gefährdeten Kunst der Handkolorierung in einzigartige Meisterwerke zu verwandeln, wurde Wirklichkeit.

Frank Rothe