Meine Fotografien

Ein schmaler Grat

Kultur-Lockdown, Tag 88: Der Fotograf übt sich in Gelassenheit.

Gastbeitrag von Hubertus Hamm sz.de/kultur-lockdown

Ich freue ich mich auf 2021! Gerade arbeite ich an einer weiteren Serie meiner „Molded Mirrors“. Das sind hochspiegelnde Stahltafeln, die ich mit ordentlichem Körpereinsatz bearbeite. Ich nenne es „molded“, was auch verbeulen meint. Wenn ich mich davor bewege, sehe ich eine verflüssigte, sich permanent ändernde Reflexion von mir und dem Atelier. Diese Arbeiten sind gedacht als eine Umkehrung dessen, was Fotografie ist.

Vielleicht ausgelöst durch diese Pandemie, sehe ich jetzt da auch unsere Verletzlichkeit, den schmalen Grat auf dem wir uns bewegen. Diese globale Bedrohung ist ein großes Übel, ich kann ihr wirklich gar nichts Positives abgewinnen. Auch nicht, wenn sie mir mehr Ruhe und Konzentration aufzwingt, ich würde sie nicht brauchen. Niemand braucht sie!

Soziale und kulturelle Vergnügen sind jetzt gekappt, das kann man einige Zeit lang aushalten, und was wir sonst zum Leben brauchen ist reichlich vorhanden. Für viele ist sie dennoch eine existenzielle oder gesundheitliche, verstörende Katastrophe mit bleibenden Folgen, und es sieht danach aus kurzfristig noch schlimmer zu werden.

Ich leide sehr mit all denen, die jetzt hart betroffen sind. Und ich möchte die Leser einladen, zum Beispiel über die elinor.network/kunstnothilfe/ gemeinsam mit der Galerie Kornfeld Berlin Kunstschaffende zu unterstützen. Die Erfahrung zeigt ja, dass wir in Katastrophen zu besseren Menschen werden können.

Meine Situation ist zum Glück im Vergleich bisher wenig betroffen, sicher aber meine Gefühlslage. Ich lebe und arbeite wie fast alle zurückgezogen, kann mich schnell anpassen, so sind die äußeren Einschränkungen fast schon zur Normalität geworden. Fasziniert und erschüttert beobachte ich allerdings, wie sich die Verschwörer auch dieses Unglück mal wieder in ihre krude Theorie von einer großen Weltverschwörung einverleiben. Vernunft ist für sie Dummheit. Diskurs ist auch mit den anderen Meinungs- und Filterblasen kaum mehr möglich. Wahrscheinlich steckte ich auch in einer.

So plane ich jetzt die interaktive Installation „View“ für den öffentlichen Raum. „View“ ist eine goldschimmernde Mauer, aus bearbeiteten Metallplatten mit faszinierenden optischen Eigenschaften, ein Lichtobjekt, auf der Grundlage eines fotografischen Prinzips – ein soziales Porträt. Von einer seitlichen Position angesehen ist sie massiv. Wenn man aus Distanz frontal auf sie schaut, löst sie sich optisch auf, so dass das Geschehen dahinter klar zu erkennen ist, nur einige Schritte reichen dazu.

Es ist menschlich und sinnvoll, dass wir uns abgrenzen. Auf beiden Seiten sind wir überzeugt davon, dass unsere Motive und Ziele vernünftig und akzeptabel sind. Aber nur wenn wir das anerkennen, die Anderen auf Augenhöhe akzeptieren, mit ihnen reden, uns bewegen, entwickeln wir uns weiter. Ich fühle mich wohl in einer Gesellschaft, die es sich leistet, nach dem Prinzip der Freiheit des Einzelnen auf dessen Vernunft zu vertrauen. So werde ich mich impfen lassen und meine Vorfreude auf das Nachfeiern der vielen verschoben Ereignisse steigt. Wie viel mehr werden wir die bald wiedergewonnene „Normalität“ zu schätzen wissen!

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/gastbeitrag-hubertus-hamm-corona-krise-kultur-1.5187213

27. Januar 2021

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