Nicolai Goschin
Pitch dich selbst!
Foto: Schmott
„Pay peanuts and you get monkeys.“
David Ogilvy (1911 – 1999), Werbelegende
• „Ich arbeite gern in einer Branche, die für mich die beste der Welt ist. Genau deshalb bin ich so entsetzt: Wenn ich mir ansehe, in welcher Schräglage man als sogenannter Kreativer heute permanent unterwegs ist, muss ich kotzen. Und zwar so richtig.
Was ist denn los, dass jeder denkt, Kreation wäre ein Süßigkeitenladen, in dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann? Naschen, probieren, mitnehmen, Hauptsache, nicht bezahlen? Doch zunächst mal ein paar Schritte zurück zu jenem Novembertag, als ich die Briefing-Mail eines großen deutschen Unternehmens lese, dessen Marken wir jeden Tag im Discounter sehen und das uns als Agentur zum Pitch eingeladen hat. Erst wird mir warm ums Herz – und dann, allmählich, sehr kalt.
Einmal alles. Bitte für nichts
Dort steht, dass man an dem ersten Termin – zu dem natürlich diverse Agenturen eingeladen werden – etwas sehen möchte. Kennen wir. Gefordert wird die Analyse sämtlicher digitaler Kommunikationsmaßnahmen, also Websites, Microsites, Social-Media-Kanäle, Newsletter und vieles mehr. Man wolle aber nicht nur eine Analyse sehen, sondern gleich auch die Optimierungspotenziale ausgearbeitet bekommen. Darüber hinaus sollen relevante technische Trends vorgestellt werden. Und eine Wettbewerbsanalyse wäre auch schön, gern in Bezug auf die gesamte Kommunikation der Mitbewerber.
Also nix da mit ,Pitcht uns mal schnell ‘ne smarte Idee‘. Mit sehr viel gutem Willen kann man das ja irgendwie verstehen: Der Auftraggeber will wissen, was die Agentur draufhat, ob die nur Pixel schubsen können oder auch Strategie. Ich heirate ja auch nicht ohne ein paar Dates vorher und kaufe kein Auto ohne Probefahrt.
Bezahlt wird für den Pitch keinen Cent, mit einem Seufzen könnte man das Ganze unter Akquisekosten verbuchen. Von nix kommt auch nix, könnte man sagen. Wäre da nicht dieser kleine und hässliche Absatz im Briefing. Dort steht ohne Wenn und Aber, dass sämtliche Rechte an den vorgestellten Ideen und Ausführungen (die die Agentur auf eigene Kosten zu erarbeiten hat) dem Auftraggeber übertragen werden. Unentgeltlich. Auch dann, wenn eine andere Agentur den Zuschlag erhält. Na ja, ich lese weiter, vielleicht klingt es nur schlimm. Oh, Moment, es kommt noch schlimmer. Die Rechte an der Arbeit werden nicht nur vollständig übertragen, wir sollen auch noch explizit zustimmen, dass unsere Arbeit von Dritten genutzt, verändert und veröffentlicht werden darf! Was um Gottes willen ist in der Kreativbranche eigentlich schiefgelaufen?
Design? Kann doch jeder
Vielleicht liegt es an den niedrigen Einstiegshürden. Hardware- und Serverkosten werden rasend billiger. Statt teurer Software-Lizenzen bucht man heute ein Creative-Cloud-Modell für 29 Euro im Monat und greift zu fertigen Templates aus dem Netz, statt Lösungen selbst zu gestalten.
Ist ja erst mal nichts Anrüchiges. Führt aber dazu, dass jeder, der in der Schule mal Informatik hatte, sich heute für einen Webdesigner hält. Auch texten, fotografieren und gestalten kann gefühlt jeder irgendwie. Das gilt auf Anbieter- wie auf Kundenseite. Also wird munter herumgestaltet und verschlimmbessert, bis am Ende irgendeine lauwarme Konsenslösung steht. Und beim Kunden das Gefühl bleibt: Hab’ ich doch eigentlich selbst gemacht, so schwer war’s ja nicht, das dürfte nicht viel kosten.
Was für ein Bullshit. Gute Agenturen entwickeln Ideen, Konzepte, Lösungen, von denen andere nur träumen. Und die entstehen nicht zwischen Ausschlafen, Katzenvideo und Chai Latte. Auch wenn das viele glauben. Wie oft habe ich das schon gehört: ,Die Fotos für die Corporate-Website? Machen wir schnell selbst, habe mir für den letzten Urlaub eine Digi-Cam gekauft‘. Wer käme denn in anderen Branchen auf so eine Idee? Ich sage auch nicht zum Klempner: ,Kein Problem, die Heizung repariere ich selbst, ‘ne Rohrzange hab’ ich schließlich auch.‘
Jeder Schreiner würde sich weigern, das vierte Tischbein auf die Oberseite des Tisches zu schrauben, nur weil sein Kunde das verlangt. Aber bei Kreativen gehört das gemeinsame Rumgemurkse zum Alltag. Wie oft haben wir das schon gehört: ,Können Sie uns drei bis fünf Entwürfe liefern? Wir stellen uns dann einfach was zusammen.‘
Ja, könnten wir. Machen wir aber nicht. Kreation und Konzept sind kein Baukasten, wir sind hier nicht im Legoland. Wir liefern genau die eine Lösung ab, die nach bestem Wissen und professioneller Erfahrung die geeignete ist. Falls es der Kunde wünscht, korrigieren wir selbstverständlich gern. Aber den zweit- und drittbesten Entwurf lassen wir genauso zu Hause wie die zig Lösungen, die wir auf dem Weg zur besten ausprobiert und aus gutem Grund verworfen haben.
Üblich ist das nicht. Üblich ist es, ein paar mittelmäßige Alternativen mit in die Abschlusspräsentation zu packen, zum ,Abschuss‘. Entscheidet sich der Kunde dann für die drittbeste Lösung, ist er halt selbst schuld. Mal abgesehen davon, dass er die Irrwege und Fehlversuche am Ende mitbezahlt. Denn irgendwie müssen Agenturen das Honorar, das man ihnen nach Kräften vorenthält und wegverhandelt hat, wieder reinholen.
Dabei ließe sich durch ein vernünftiges Auftraggeber-Agentur-Verhältnis einiges sparen. Es müsste zum Beispiel nur jemand die Eier haben, dem Kunden zu sagen, dass sein zigster Änderungswunsch die Lösung nicht besser macht. Dass die von der Frau des stellvertretenden Marketingleiters vorgeschlagene Variante am Ende sowieso nicht umgesetzt wird, aber erst einmal allseits zu hektischer Betriebsamkeit führt.
Typischerweise werden die Folgen der Inkonsequenz über die Nahrungskette nach unten gereicht. Am Ende schwitzt irgendein Praktikant oder schlecht bezahlter Freelancer übers Wochenende am Agenturschreibtisch, damit am Montagmorgen in der Präsentation alles so aussieht, wie es sich der Kunde am Freitagnachmittag noch überlegt hat.
In der Agentur brennt noch Licht
Auch ich habe eine klassische Studium-Praktikum-Agenturkarriere hinter mir. Meine E-Mail-Adresse lautete „Praktikant6@soundsoagentur.com“, so austauschbar war ich. Ich war Teil des breiten Kreativproletarier-Fundaments, auf dem dieses Agentur-Kalkulationsmodell ruht. Am Anfang klingt die Bezahlung auch ganz gut. Wenn ich als Student nebenbei meine ersten freien Jobs gemacht habe, fühlte ich mich wie ein König. 20 Euro pro Stunde – was brauchte ich mehr?
So dachte ich. So denken viele. Eines Tages aber poppen Themen wie Rentenversicherung, Einkommensteuer, Krankenversicherung und Krankheitstage auf, vielleicht sogar Kinder, Familie und Wohnung. Dann sind 20 Euro plötzlich verdammt wenig. Wer für weniger als 35 Euro pro Stunde arbeitet, lügt sich selbst in die Tasche.
Doch wer einmal zu Dumping-Preisen gestartet ist, kommt da kaum noch raus. Auf Flatrate-Niveau bilden sich aber keine dauerhaften Partnerschaften. Die brauchen Agentur und Kunde jedoch, um effizient miteinander arbeiten zu können.
Mein Erweckungserlebnis hatte ich bei der Weihnachtsfeier eines Kunden, zu der man uns als Agentur angefragt hatte. Leider hatten die Organisatoren bei den Vorbereitungen einiges vergessen, also kam unsere Auftraggeberin hektisch auf uns zu und meinte, wir könnten doch schnell mal Indoor-Kamine, Mehrfachsteckdosen und Ähnliches besorgen. Aber bitte subito, schließlich solle die Sause bald steigen. Als ich freundlich anmerkte, dafür seien doch nicht wir als Digitalagentur, sondern vermutlich eher ihre Eventagentur zuständig, starrte sie mich an, als hätte ich ihr gerade von einer Verzehnfachung unseres Honorars erzählt. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir ein anderes Selbstverständnis brauchen. Dass wir lernen müssen, Nein zu sagen. Heute würde ich sagen, es war eine der wichtigsten Erkenntnisse meines bisherigen Berufslebens.
Wir haben uns dann von ein paar Kunden und Geschäftsfeldern getrennt. Wir haben uns auf das konzentriert, was wir wirklich gut können und alles Halbgute sein gelassen. Außerdem haben wir uns ein paar Grundsätze verordnet. Es sind nur ein paar einfache Regeln, aber sie verändern die Zusammenarbeit mit Kunden entscheidend.
Erstens: Unsere Preise verhandeln wir nicht. Die Qualität unserer Leistung ist schließlich auch nicht verhandelbar. Zweitens: An Pitches beteiligen wir uns nur, wenn sie vernünftig honoriert werden. Agenturen, die zu erniedrigenden Bedingungen pitchen, werden erfahrungsgemäß selten zu langjährigen Partnern. Drittens: Wir möchten bei Pitches die Größenordnung des Budgets wissen und erfahren, gegen wen wir antreten. Gegen 19 x-beliebige Konkurrenten anzutreten ist wie Lotto-Spielen, nur frustrierender.
Wir verlieren Aufträge. Zum Glück
Unsere Grundsätze haben uns viele Pitch-Teilnahmen und sicher einige Aufträge gekostet. Glücklicherweise haben mein Partner und ich als alleinige Gesellschafter niemanden im Nacken, der uns Quartals- oder Renditeziele vorschreibt. Obwohl wir die mittlerweile durchaus erreichen könnten.
Denn mit der Zeit meldeten sich zusehends Kunden, die uns wegen unserer Kompetenz haben wollten. Heute sind wir, soweit ich das beurteilen kann, nicht weniger profitabel als Wettbewerber, die einfach jeden Job mitnehmen.
Das Markenunternehmen, das uns die dreisten Pitch-Bedingungen unterjubeln wollte, gehört übrigens nicht zu unseren Kunden. Unsere Absage wurde schulterzuckend akzeptiert.“