Instagram und die Neue Übersichtlichkeit
Was ist bloß aus der Fotografie geworden?
Auf Instagram ist alles auf die maximale Subjektivität hin ausgerichtet: mein Essen, meine Füße, mein Kaffee, meine Wohnung. Was bedeutet das für die Entwicklung der Fotografie?
Was ist bloß aus der Fotografie geworden? Das könnte man sich fragen, wenn man durch die Ausstellung „Fotografien werden Bilder. Die Becher-Klasse“ im Frankfurter Städel Museum läuft. Dort hängen auf zwei Stockwerke verteilt die Arbeiten der Struffkys, von Candida Höfer, Jörg Sasse, Axel Hütte, Tata Ronkholz und Petra Wunderlich, der ersten Studentengeneration der so genannten Becher-Klasse also. Ihre Lehrer Bernd und Hilla Becher fehlen natürlich nicht (ausführliche Review der Ausstellung in der Juni-Ausgabe von Monopol).
Als die Bechers fotografisch tätig wurden, verstanden sie sich selbst als Denkmalpfleger mit Kamera, nicht als Künstler. Sie wollten fotografisch festhalten, was irgendwann einmal verschwunden sein werden würde. Fördertürme und Hochanlagen, Wassertürme und Gasbehälter, die stillgelegte und vom Abriss bedrohte Industriearchitektur. Die Bechers suchten kühle Objektivität, subjektives Eingreifen war untersagt, die Fotografie war für sie ein Aufzeichnungsmittel – gemeinsam arbeiteten sie sich an einer enzyklopädischen Bestandsaufnahme von Industriebauten mit ihren Kameras ab.
In Ausstellungen erkennt man die Arbeiten von Bernd und Hilla Becher meist schon von Weitem. Ihre Fotografien sind in Tableaus von 6-24 angeordnet. Mit ihren Typologien betonen sie den seriellen Charakter des Mediums Fotografie und fordern den Betrachter zu einem vergleichenden Sehen heraus. Keine Meisterwerke mehr, könnte man sagen, zumindest für einen Augenblick. Bei den Bechers musste sich das Einzelwerk in eine Gruppe einfügen. Digital Natives, die noch nie von Bernd und Hilla Becher und ihren Typologien gehört haben, sind vielleicht wahnsinnig entzückt darüber, dass im Museum endlich einmal etwas aussieht wie ein gut kuratierter Tumblr oder Instagram. Und jetzt muss man sich wirklich fragen, was ist bloß aus der Fotografie geworden?
Als die Bechers anfingen zu fotografieren, waren sie meist im Siegerland unterwegs, wo Bernd Becher herkam. Das ersparte ihnen weite Anfahrtswege. Neben Fördertürmen und Aufbereitungsanlagen der umliegenden Erzbergwerke fotografierten sie auch Fachwerkhäuser. Das Städel hat vor einiger Zeit auf seinem Instagram-Account nacheinander neun dieser Fachwerkhäuser geteilt. Im besten Fall hätte das dann zumindest ein ganz kleines bisschen ausgesehen, wie von Bernd und Hilla Becher intendiert. Nur ist das Format in der – wenn man einmal dieses Wort bemühen darf – Galerieansicht von Instagram das Quadrat. Die Fotos werden also oben und unten beschnitten und sehen folglich gar nicht mehr so aus, wie sie sollten. Vielleicht würden die Bechers bei solch einem Anblick die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und schreiend aus dem Raum rennen, man weiß es nicht.
Fotografien werden bierdeckelgroße Bilder, so der Künstler Wolfgang Tillmansgerade über Fotos, die mit dem Smartphone gemacht wurden. Auf Instagram sind es sogar nur daumennagelkleine Bildchen. Schon allein das kleine Format sorgt dafür, dass die Bilder übersichtlich komponiert sein müssen, damit deren Inhalt beim schnellen Scrollen durch den Feed auf Instagram erfasst werden kann. The big print, larger than life, damit machte die Becher-Schule von sich reden. Eine Arbeit wie Gurskys „Montparnasse“, die aktuell im ersten Stock im Städel Museum an einer Wand hängt, würde mit ihrem Überwältigungseffekt und ihrer Kleinteiligkeit nicht funktionieren. Niklas Maak nannte das Werk wegen seiner Größe von 4,20 Metern in der Breite und knapp 2 Metern in der Höhe „das Hochhaus unter den Fotografien“.
Kommt nach der Neuen Sachlichkeit, dem Neuen Sehen oder beispielsweise der New Color Photography jetzt die Neue Übersichtlichkeit? Nicht nur die Bilder sind übersichtlich, sondern auch die Sujets. Der Blick der Bechers und ihrer Schüler musste maximal objektiv sein, ihre Arbeiten sind präzise, scharf und objektiv in der Wiedergabe des Motivs. Sie idealisierten nicht, ihnen ging es um die reine Beschreibung. Auf Instagram ist alles auf die maximale Subjektivität hin ausgerichtet. Mein Essen, meine Füße, mein Kaffee, meine Wohnung. Und alles bitte möglichst moody und kitschig für den Seufz-Effekt.
Mutet es da nicht ein bisschen wie Ironie an, dass auf Instagram dennoch teilweise zum Erfolg verhilft, was auch bei den Bechers und ihrer Schüler funktionierte und sie auf dem Kunstmarkt zu einer Marke machte? Die unbedingte Konzentration auf ein Thema, wie beispielsweise bei Candida Höfer die Konzentration auf Innenräume. Was etwa auf Instagram läuft: Wenn man nur Gässchen in den Altstädten dieser Welt fotografiert. Die Betonung des Seriellen, wie bei den Bechers. Das Einzelfoto muss auf Instagram sitzen, wie auch jedes weitere Foto, denn irgendwie sieht man zwar Einzelfotos, die aber wiederum fließen hinein in einen Strom von Bildern. Und wer braucht da noch den Kunstmarkt, wenn man sich mit dem Tableau des eigenen Lebens als Content Creator oder Visual Storyteller, kurz als Marketinggaul, vor den Karren großer Unternehmen spannen lassen kann?
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